Software als Ware im Sinne der EU-Handelsvertreterrichtlinie

Die Anwendbarkeit des Handelsvertreterrechts kann beim Vertrieb von Software und anderen digitalen Produkten mitunter problematisch sein. Ein wenig Klarheit im Hinblick auf den Vertrieb von Software durch schafft nun er europäische Gerichtshof. Mit seiner Entscheidung vom 16.09.2021 stellt der Gerichtshof klar, dass der „Verkauf von Waren“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der EU Handelsvertreterrichtlinie 86/653/EWG auch die elektronische Lieferung eines Computerprogramms umfasst, sofern der Kunde gegen Bezahlung neben der Lieferung des Programmes auch die Möglichkeit einer dauerhaften Nutzung der Software erhält, etwa such die Erteilung einer unbefristeten Lizenz.

Handelsvertreter im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653

  1. Die Begründung der Vorlageentscheidung beginnt pragmatisch mit einer Anknüpfung an die Zako Entscheidung (Urteil vom 21. November 2018, Zako, C‑452/17) mit einer Nennung der drei notwendigen Voraussetzungen für die Qualifikation einer Person als Handelsvertreter im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653. Danach ist eine Person als Handelsvertreter zu qualifizieren, sofern sie:
    die Eigenschaft eines selbstständigen Gewerbetreibenden aufweist,
  2. dauerhaft vertraglich an den Unternehmer gebunden ist und
  3. eine Tätigkeit ausüben, die darin besteht, den Verkauf oder den Ankauf von Waren für den Unternehmer zu vermitteln oder diese Geschäfte in dessen Namen und für dessen Rechnung abzuschließen (dann als Abschlussvertreter)

Problematisch war in der vorliegenden Entscheidung allein das Dritte Kriterium, der „Verkauf von Waren“.

Lieferung einer Software als „Verkauf von Waren“

Danach setzt sich der Gerichtshof mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen die elektronische Lieferung einer Software an einen Kunden als Lieferung von Waren betrachtet werden kann. Ware in dem hier maßgeblichen Sinne ist jedes Erzeugnis, das einen geldwert hat und er Gegenstand eins Handelsgeschäfts sein kann. Das trifft unproblematisch auf Software zu. Die Art und Weise der Lieferung ist dabei egal. Insofern macht es keinen Unterschied, ob die Software auf einem physischen Datenträger(z.B. USB-Stick etc.) oder zum Beispiel auf elektronischem Weg, zum Beispiel über einen Download, übertragen wird. Ersichtlich wird hier jedoch, dass das Gericht von einer Lieferung im Sinne der Übertragung des Quellcodes oder der für die lokale Benutzung der Software erforderlichen Daten ausgeht. Nicht einbezogen sind an dieser Stelle andere Möglichkeiten der Zugänglichmachung, wie etwa Software-as-a-Service.
Sodann verweist das Gericht auf die UsedSoft Rechtsprechung (C-128/11), nach der die Lieferung eines Programmes bei zeitgleicher Gewährung einer dauerhaften Nutzungsmöglichkeit für das Programm durch Abschluss eines Lizenzvertrages, einen einheitlichen Vorgang darstellt, der es dem Erwerber erlaubt, die Software gegen Zahlung einer Vergütung für sich dauerhaft nutzbar zu machen.

Zeitlich unbefristete Nutzungsmöglichkeit an Computerprogramm

Als entscheidend sieht der Gerichtshof neben der Lieferung, im Sinne einer Zugänglichmachung des Programmes, die Gewährung einer zeitlich unbeschränkten Nutzungsmöglichkeit an dem Computerprogramm an. Dies erfolgt analog zu Verschaffung von Eigentum an einer klassischen Ware, welches grundsätzlich eine dauerhafte und zeitlich unbeschränkte Nutzungsmöglichkeit gewährt. Die Erteilung einer nur zeitlich befristeten Lizenz an einem Computerprogramm erfüllt dieses Kriterium nicht.

Kritik an der Entscheidung

In der Konsequenz ist die Lieferung einer Software, bei gleichzeitiger Gewährung einer zeitlich nur befristeten Nutzungsmöglichkeit, kein Verkauf von Waren im Sinne der Richtlinie 86/653. Diese klare und für die Praxis durchaus nützliche Feststellung ist zunächst zu begrüßen. Auf der anderen Seite dürften die meisten Erwerber einer Software samt Nutzungsmöglichkeit keine zeitlich unbefristete Nutzung der Software anstreben. Selbiges dürfte auch für die allermeisten nicht digitalen Produkte gelten. In 10 Jahren wird das Programm veraltet und die technischen Voraussetzungen für den Betrieb völlig überholt sein. Selbiges gilt für die Lieferung des Programmes. Datenspeicher unterliegen einer physischen Alterung und Downloadmöglichkeiten werden nach einigen Jahren abgeschaltet sein. Insofern wäre es praxisnäher gewesen, wenn der Gerichtshof statt einer unbefristeten, auch die Gewährung einer langfristigen Nutzungsmöglichkeit hätte genügen lassen. Als Abgrenzungskriterium hätte sich der typische Produktlebenszyklus für die jeweilige Ware angeboten. Im Ergebnis hätten sich damit weitere Vertriebsformen für digitale Produkte unter der Richtlinie 86/653 fassen lassen.
Daneben hätte der Gerichtshof erwägen können, das Kriterium der Lieferung abzuschwächen. Es ist fraglich, ob die physische Zugänglichmachung von Software als Datenpaket eine Zukunft hat. Für den Nutzer ist es jedenfalls in den meisten Fällen unerheblich, wo die Software ausgeführt wird.

Die Entscheidung erging im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV.
Abrufbar ist die Entscheidung im EUR-Lex Portal: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A62019CJ0410&qid=1637942039512