Nach § 89b HGB hat der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gegen den Unternehmer einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich. Unter bestimmten Umständen ist die Regelung des § 89b HGB auch analog auf den Vertragshändler anwendbar und kann dadurch auch dem Vertragshändler bei Beendigung der Vertriebsbeziehung einen Ausgleichsanspruch gewähren. Dies setzt voraus, dass sich das Vertragsverhältnis zwischen Vertragshändler und dem Hersteller oder Lieferanten nicht in einer bloßen Käufer-Verkäufer-Beziehung erschöpft, sondern den Vertragshändler aufgrund vertraglicher Abmachungen so in die Absatzorganisation des Herstellers oder Lieferanten eingliedert, dass er strukturell und wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hat. Indizien für eine strukturelle Ähnlichkeit mit einem Handelsvertreter kann etwa die Pflicht sein, bei Vertragsbeendigung dem Hersteller den Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann. Dieser Beitrag setzt sich mit den Voraussetzungen der analogen Anwendbarkeit des § 89b HGB auf Vertragshändler auseinander und orientiert sich dabei insbesondere an der Entscheidung des OLG München, vom 05.12.2019, Az. 23 U 2136/18.

In der Literatur wird teilweise auch die Auffassung vertreten, dass eine Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms nicht erforderlich ist und schon die tatsächliche Möglichkeit des Lieferanten, die Daten zu nutzen, genügt.

Für die Frage, ob Ausgleichsansprüche in analoger Anwendung von § 89b HGB dem Grunde nach bestehen, ist also zu untersuchen, ob der Vertragshändler in einer Form in die Absatzorganisation des Lieferanten eingebunden war, die wirtschaftlich weitgehend der eines Handelsvertreters entspricht. Das ist dann der Fall, wenn sich der Vertragshändler vertraglich dazu verpflichtet hat, sich so wie ein Handelsvertreter für den Absatz von Produkten einzusetzen und dabei in seinem wirtschaftlichen und  rechtlichen Handeln vertraglichen Restriktionen unterliegt, die für einen Handelsvertreter typisch sind. Wesentlicher Aspekt ist dabei der Grad an wirtschaftlicher Freiheit des Vertragshändlers, mit welcher dieser seine Absatztätigkeit ausüben kann. Ein hohes Maß an unternehmerischer Freiheit spricht tendenziell gegen eine Gleichstellung des Vertragshändlers mit einem Handelsvertreter. Eine umfangreiche vertragliche Regulierung, aus der sich unmittelbare Einschränkungen der unternehmerischen Gestaltung der Absatztätigkeit ergeben, kann hingegen eine strukturelle Gleichstellung des Vertragshändlers mit einem Handelsvertreter begründen. Starre Kriterien für die Beurteilung dieser Frage gibt es nicht. Maßgeblich sind regelmäßig die zwischen den Parteien bestehende vertragliche Grundlage der Absatzbeziehung, eventuelle Nebenabreden, das tatsächliche Verhalten der Vertragsparteien sowie sonstige im konkreten Einzelfall relevante Umstände.

Keine Bedeutung kommt der Bezeichnung der zwischen den Parteien bestehenden Vereinbarung zu. Es ist rechtlich nicht relevant, ob der zwischen den Parteien bestehende Vertag als Vertragshändlervertrag, Distribution Agreement oder OEM Vertrag bezeichnet wird.

Eingliederung in fremde Vertriebsorganisation als  Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers

Merkmale einer Eingliederung in eine Vertriebsorganisation sind insbesondere Berichtspflichten sowie verbindliche Regelungen und Vorgaben die den Vertrieb betreffen.

Berichtspflichten des Vertragshändlers

  • Berichtspflicht: Relevant ist nur jene Berichterstattung, die in Erfüllung vertraglicher Pflichten erfolgt. Sofern der Vertragshändler ohne eine ausdrückliche Verpflichtung Bericht erstattet oder weil es der Lieferant zwar wünscht aber nicht zwingend fordert, spricht nicht für eine tiefe Eingliederung in die Absatzorganisation.
  • Berichtsturnus: in welchen Abstand zu berichten ist.
  • Form, Inhalt und Umfang von Berichtspflichten: Die Pflicht des Handelsvertreters zu einer sehr umfangreichen Berichterstattung wird tendenziell eher für eine weitgehende Einbindung in die Vertriebsorganisation sprechen. Keine Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit liegt in solchen Vorgaben, die lediglich die Form der Berichterstattung des Vertragshändlers (Verwendung von Mustern oder Templates) betreffen.
  • Zweck der Berichterstattung: Gegen eine tiefe Eingliederung in kann auch eine Berichterstattung sprechen, die primär nicht der Information des Lieferanten über die Vertriebsaktivitäten und den Vertriebserfolg des Vertragshändlers, sondern anderen Zwecken dient, etwa der Bestimmung von Preisen oder Rabatten.
  • Befolgung der Berichtspflichten: Eine Berichtspflicht kann argumentativ nur dann als Indiz für eine tiefe Einbindung des Vertragshändlers sprechen, wenn der Vertragshändler die Berichtspflicht auch tatsächlich erfüllt hat. Der nur rein faktisch bestehenden aber nicht erfüllten Berichtspflicht kann im Umkehrschluss keine Bedeutung zukommen.
  • Eigeninteresse des Vertragshändlers an der Berichterstattung: Etwa zur Erlangung von Preisvorteilen oder Sonderrabatten oder zum Nachweis von vergütungs- oder rabattrelevanten Umsätzen.

Preisgestaltung gegenüber Kunden

  • Unverbindliche Preisempfehlungen des Lieferanten sind kein Merkmal für eine Eingliederung des Vertragshändlers in dessen Absatzorganisation, da sie dem Vertragshändler die Möglichkeit der Preisfestlegung und damit ein hohes Maß an wirtschaftlicher Freiheit belassen. Nebenbei sei angemerkt, dass die verbindliche Vorgabe von Verkaufs- oder Höchstpreisen häufig auch kartellrechtlich problematisch ist.

Sonstige vertriebsbezogene Regelungen

  • Zuweisung eines Marktgebiet und einer Produktpalette: Allein in der Zuweisung eines bestimmten Marktgebietes oder einer bestimmten Produktpalette liegt nicht ohne weiteres eine Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit des Vertragshändlers.
  • Pflicht zur Lagerhaltung: Es kommt darauf an, wie konkret die Pflicht zur Lagerhaltung ist und welche wirtschaftliche Bedeutung sie für den Vertragshändler hat. Die allgemeine Pflicht, einen angemessenen Lagerbestand vorzuhalten, der für die Befriedigung der üblichen Marktnachfrage erforderlich ist, wird die wirtschaftliche Freiheit des Vertragshändlers nicht beeinträchtigen. Etwas anders kann gelten, wenn der Vertragshändler für die Lagerhaltung besondere Vorkehrungen zu tragen hat oder die Lagerhaltung aufgrund der Art der Produkte sehr kostenintensiv ist.
  • Verpflichtung zu bestimmten Vertriebsbemühungen: Auch hier kommt es darauf an, wie konkret die Vorgaben sind und welchen Interessen sie im Ergebnis dienen. Die Vorgabe, allgemein anerkannte oder branchenübliche Standards einzuhalten, wird den Vertragshändler tendenziell noch nicht in seiner unternehmerischen Freiheit einschränken. Maßgeblich kann hier insbesondere ein Vergleich mit § 86 Abs. 1 HGB sein, aus dem sich Pflichten für Vertriebsbemühungen des Handelsvertreters ergeben.
  • Pflicht zum Einsatz von qualifizierten Personal
  • Buchführungspflicht des Vertragshändlers und Buchprüfungsrecht des Lieferanten: Hier kommt es auf den Zweck der Regelung an. Die wirtschaftliche Freiheit des Vertragshändlers wird jedenfalls nicht durch solche Pflichten eingeschränkt, die etwa der Schadensabwehr des Lieferanten dienen, etwa um Rückrufaktionen besser abwickeln zu können oder zur Bekämpfung von Betrugshandlungen.
  • Gemeinsame Kundenbesuche und Kunden- bzw. Absatzveranstaltungen: Hier kommt es auf Häufigkeit, Kosten und Zweck der Veranstaltungen, Interessenalge und die Bedeutung für das Geschäft des Vertragshändlers) an. Während gemeinsame Kundenbesuche bei für den Lieferanten strategisch wichtigen Kunden tendenziell unproblematisch sein dürften, kann in gemeinsamen Veranstaltungen und Kundenbesuchen im Rahmen des Tagesgeschäfts durchaus eine Beschränkung der unternehmerischen Freiheit des Vertragshändlers liegen.
  • Zielvorgaben: Zielvorgaben des Lieferanten, wie etwa Umsatzziele, können die unternehmerische Freiheit des Vertragshändlers beschränken. Dies gilt nicht für vom Vertragshändler selbst definierte Zielvorgaben und Umsatzprognosen. Unkritisch dürften zudem solche Absatz- und Umsatzziele sein, deren Nichterreichen zu keinen negativen Konsequenzen für den Vertragshändler führt. Keine Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit stellen verbindliche Umsatzziele dar, welche der Vertragshändler ohne besondere Anstrengungen einhalten kann.

Werbung und Vermarktung

Hier kommt es darauf an, ob und in welchem Umfang sie der Lieferant Vorgaben für die Vermarktung vorgibt. Praktisch relevant sind Vorgaben zum Außenauftritt und der Gestaltung von Werbemitteln. Vorgaben zum Werbebudget,  Verpflichtungen zur Verwendung von Werbematerialen des Lieferanten oder ein weitgehendes Mitspracherecht des Lieferanten bei der Gestaltung und Durchführung der Werbung können beschränkend auf die unternehmerische Freiheit des Vertragshändlers wirken. Sofern der Vertragshändler hingegen im Wesentlichen selbst über die Art und Umfang der Werbung entscheiden kann, spricht dies gegen eine Gleichstellung mit einem Handelsvertreter in analoger Anwendung des § 89b HGB. Dies gilt auch für die Vereinbarung von kooperativen Absatzmaßnahmen im beiderseitigen Interesse.

Gegen eine Gleichstellung mit einem Handelsvertreter können spricht insbesondere eine große Freiheit des Vertragshändlers bei der Ausgestaltung und Abwicklung seiner Geschäfte mit Kunden. Demgegenüber ist die Tätigkeit des Handelsvertreters  durch das weitreichende Weisungsrecht des Prinzipals gekennzeichnet.

Keine Exklusivität und kein Wettbewerbsverbot

Sofern der Vertragshändler die Produkte des Lieferanten nicht räumlich exklusiv anbietet und im Verhältnis zum Lieferanten auch keinem Wettbewerbsverbot unterliegt, so spricht dies ebenfalls gegen eine tiefgehende wirtschaftliche Eingliederung in dessen Vertriebsorganisation.

Marktebene

Vertragshändler ist noch auf weiteren Marktebenen tätig, zum Beispiel als Hersteller. Händler ist auch auf weiteren Marktebenen tätig und darf eigene Produkte mit den Produkten des Lieferanten bündeln (Bundle-Geschäft).

Gleiches gilt für Value-Add-Geschäfte, also Sachverhalten, bei denen es dem Vertragshändler erlaubt ist, die Produkte des Lieferanten zu modifizieren, unter einer eigenen Marke oder zusammen mit eigenen oder Dienstleistungen Dritter zu vertreiben.

Sofern der Vertragshändler zu Bundle- und Value-Add-Geschäften berechtigt ist, so ist dies ein starkes Argument gegen eine Gleichstellung mit einem Handelsvertreter. Die tatsächliche Nutzung dieser Möglichkeit und der daraus resultierende Geschäftsumfang sind von nachrangiger Bedeutung.

Für die Beantwortung der Frage, ob eine Eingliederung in einer Vertriebsorganisation vorliegt und eine Gleichstellung mit einem Handelsvertreter angezeigt ist, kommt es letztendlich darauf an, die vorliegenden Indizien gegeneinander abzuwägen.

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